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 Markt-Sprache 

 

Mundwerkzeug - ein paar Regeln der Marktsprache
Die erstaunlich wenigen Grundregeln, die es beim Erlernen der Marktsprache zu beachten gilt, passen in Stichpunkten bequem auf einen wirklich kleinen "Spickzettel".
Die zuweilen bewunderte Kunst besteht in beständiger Aufmerksamkeit, etwas Kombinationsfreude, (leider auch) Begabung und sprachlichem Talent, aber selbst dann noch sehr viel Übung und noch mehr Fleiß. Ohne Letzteren hat noch niemand die Meisterschaft in ihrem oder seinem Fach gewonnen.
Nun endlich zum Thema kommend, betrachten wir kurz unser künftiges "Spickerl", und widmen uns sogleich der tieferen Bedeutung all dieser Stichworte:
 
Ihrzen & Euchzen
Gebet ein "e" den Verben
Englisch ist out!
Altbackene Worte
Latein ist excellent
des Genetivs Nutzung
Den Konjunktiv gäb's auch
Aus Neu mach' Alt
geschraubte Sätze
Die Anrede
Im Allgemeinen gilt zunächst: Wir siezen nicht, wir ihrzen und euchzen.
(Das ist zwar aus historischer Sicht ungenau. Aber das allgemein übliche "Du" wäre einfach langweilig.)
Seid willkommen an der Stätten.
Drängt Euch eine Frage? Nur frisch heraus damit!
 
Als Grundlage mag es genügen, erstmal schlichtweg alles und jede/n zu ihrzen. Wenn wir etwas sicherer geworden sind, dürfen (und sollten) wir unterschiedliche Standes-Ebenen in der Anrede verdeutlichen: aufwärts sagen wir dann stets 'Ihr', untereinander kommt bei einigen Leuten schon mal ein 'Du' vor, und abwärts ist das Duzen ganz selbstverständlich. Details hierzu finden sich im Fundus.
Gebet ein "e" den Verben
Bei Aufforderungen und Fragen eignen sich Verben (Tätigkeitswörter) ganz vorzüglich dazu, am Ende um ein eingeschobenes "e" bereichert zu werden.
Ei, schauet nur diese Pracht!
Habet Ihr Eure Wahl schon getroffen?
Bedürfet Ihr eines Rates?
Wünschet Ihr noch einen weiteren Trunk?
Allerdings sollten wir hier nicht übertreiben. Nicht jedes Verb muß so verlängert werden, sonst leidet der Sprachfluß. Machet sparsamen, doch regelmäßigen Gebrauch davon, als wäre es Salz.
Laßt Euch nicht drängen. Wählet nur in Ruh und mit Bedacht.
Englisch ist out!
Der heute übliche Gebrauch von Anglizismen ist erst seit der Amerikanisierung unserer Kultur selbstverständlich. Im Mittelalter finden wir derlei nicht. Um grobe Schnitzer zu vermeiden, gilt es also auch, uns selbst zuzuhören und bei Bedarf Ersatz zu finden. Hier ein paar Beispiele, die sich oft und gerne einschleichen, mitnebst möglichen sprachlichen Ausweichmöglichkeiten:
fair → rechtens  /  regelrecht  /  ritterlich
unfair → Das ist nicht recht  /  wider die Regeln
okay → Je, nun  /  Nun gut  /  Wohlan  /  Alsdann  /  Es sei
Stop! → Haltet ein!
Trick → Kunststück  /  Kunstgriff  /  Kniff
Sport → Ertüchtigung
Altbackene Worte
Die obigen Beispiele lassen es bereits erahnen: In unserer Sprache gibt es gar viele altbackene Worte und Redeweisen, die wir sehr wohl verstehen und sofort wiedererkennen, dieser Tage jedoch nur gar zu selten eigenmündig verwenden. Wenn wir es doch nur verstünden, davon so viele als möglich zu sagen, als wäre derlei unser täglicher Sprachgebrauch! Dann nämlich wäre es kaum noch vonnöten, uns um Weiteres zu bemühen. Wer wie eine Figur aus dem Märchenbuche spricht, überzeugt bereits zur Genüge. Dieser Absatz mag als Beispiel dienen.
Oft hilft es bereits gewaltig, sich zu fragen, wie wohl eine Märchenfigur dieses oder jenes sagen würde, das wir auf dem Markte öfter mal in unseren jetzigen Worten sagen. Für Vieles bietet die deutsche Sprache auch ältere Worte und Formulierungen, die mindestens ebenso richtig, in unserer "Neuzeit" aber einfach veraltet sind. Hier läßt sich vieles bereits aus der eigenen Erinnerung zum alltäglichen Gebrauch gewinnen, ohne auch nur ein einziges Buch zu Rate zu ziehen.
Zur Wiederbelebung dieses Wortschatzes seien die Literatur-Hinweise empfohlen.
Latein ist excellent
Wer sich der Darstellung der höheren Stände widmet, kann und darf gerne einer Mode folgen, die bereits im Mittelalter entstand: der Latinisierung. Es klingt doch weitaus gebildeter, wenn etwas Latein in die Umgangssprache einfließt. (Ein Excempel excessiven Gebrauchs können wir im "Simplicissimus" nachlesen). Allerdings sollten sich Vertreter der niederen Stände besser vom Latein fernhalten. Denn schließlich: Wo sollen sie es denn her haben?
des Genetivs Nutzung
Des Genetivs Anwendung ist inzwischen rar geworden. Seine Verwendung am Satzanfang ist zudem ein hübscher Kunstgriff, dessen Erfolg die geringe Mühe durchaus lohnt.
Den Konjunktiv gäb's auch
Die Möglichkeitsform vertrüge durchaus mehr Verwendung, als die Neuzeit ihr zugesteht. Mit etwas Ohrenmerk fände sich wohl mancher Anlaß, und ganz alltägliche Sätze klängen plötzlich seltsam fremd.
Mich deucht, es wär wohl mählich an der Zeit...
Das könnt' ich wohl für Euch verrichten
Dies wäre schon für drei Silbergulden wohlfeil
Allerdings sei hier zur besonderen Vorsicht geraten. Ein Übermaß gerät flugs zum Eigentor: Gerade die hübschen kleinen Wörtchen "wär" und "sei" verführen zu möglichst häufiger Anwendung. Für's Erste sorgt derlei ja auch für einen höchst befremdlichen Klang. Überdies enthebt es uns der Mühe, das grammattisch richtige Wort zu finden. Der leicht erzielbare Effekt ist in der Tat so gewaltig, daß alsbald schon die Versuchung entsteht, sich im Bereich "mittelalterlicher" Marktsprache stets auf diesen einen bequemen Punkt zu beschränken. Leider jedoch nutzt sich die Wirkung gerade dadurch ebenso schnell wieder ab. Und spätestens, wenn der Konjunktiv dort erzwungen wird, wo er grammattisch blanker Unfug ist, blinzelt uns deutlich hörbar ein Faulpelz an.
Hier ein Paar abschreckende Beispiele, wie es bitte nicht  sein sollte:
Ich hätt's wohl vergessen.(... unter welcher Bedingung?)
Es wär' nun an die drei Jahre her, ...(... wenn wir einmal so tun als ob?)
Ich sei wohl der Schmied hier...(... hat man ihm gesagt.
 Wer aber ist er wirklich?)
Unsere Verbesserungs-Vorschläge:
Es ist mir gänzlich entfallen.
Zu Sankt (Tages-Heiliger von übermorgen) ist es nun drei Jahre her...
Ich bin der Schmied anhier...
Aus Neu mach' Alt
Die Begegnung der Epochen bringt es mit sich, daß Marktbesucher Dinge mit sich führen, die es im Mittelalter noch nicht gab. Im Umgang mit diesen hat sich ein Spiel entwickelt, das allen Beteiligten immer wieder Freude bereitet: die Übersetzung des Gesehenen in die "mittelalterliche" Sprech- und Sichtweise.
Zwar ist derlei nicht wirklich notwendig, aber beispielsweise das Wort vom "Taschen-Drachen" ist ein so drolliges, daß es sich allgemeiner Beliebtheit erfreut. So erstaunt es nicht, daß vielerorts auch von Augenrädlein, Regendächlein, Lustkutschen oder Schnellzeichengeräten gesprochen wird, als seien all diese Dinge für uns ganz selbstverständlich.
Zugegeben: Diese Wortschöpfungen haben weniger mit altertümelnder Sprache zu tun als eher einem "kreativen Anachronismus". Aber gerade einer lebendig gewordenen Kunstsprache, wie die "mittelalterliche Marktsprache" nun einmal ist, stünde es schlecht an, solch spielerischen Umgang mit Gegebenheiten und Worten tadeln zu wollen. Wer in der eigenen Rolle und sprachlich sicher ist, wird gewiß keine großen Schwierigkeiten haben, derlei zu umgehen. Für Andere ist es ein Hilfsmittel mehr, das gerne mal verwendet wird.
geschraubte Sätze
Als hilfreich erweist sich auch ein großes Gedächtnis, welches in der Lage ist, lange und geschraubte Sätze zu gestalten, darin ein Nebensatz noch sein Plätzchen findet, und dieselben hernach auch noch fehlerfrei aufzusagen. Dieses Stilmittel entsprich duchaus der Gewohnheit früherer Sprache und hat nicht unbedingt mit Verkünstelung zu tun. Es muß jedoch nicht jeder Satz lang sein.
 
weitere Möglichkeiten
( für Fortgeschrittene )
 
Satz-Umstellung
Wer bereits über ein gewisses Repertoire an Standard-Sätzlein verfügt, kann auch mal schauen, ob da nicht ein oder zwei dabei sind, bei denen der Satzbau noch eine Umstellung verträgt:
Nicht schmälern wollt' ich Euer Wissen, wohl aber es erweitern.
Allerdings sei dieses Mittel sparsam dosiert. Wenn solche verquasten Sätze in allzugroßer Zahl flüssig vom Munde gehen, fällt schnell auf, daß die eigentliche Umgangssprache wesentlich schlichter gestaltet ist. Wer nur einen solchen Satz abbekommt, ist mit Verstehen beschäftigt genug, um auf diesen Gedanken noch nicht zu verfallen.
Wortschwall
Manchmal macht's auch die Masse. Ab einem gewissen Umfang gewinnen einstudierte langatmige Standardsätze bei etwas umständlicher Ausdrucksweise und etwas zu schneller Aussprache deutlich an Überzeugungskraft und erwecken den Eindruck geläufiger Alltagssprache. Nämlich genau dann, wenn das geneigte Publikum kaum noch folgen kann. Solange der Sermon mit Überzeugung vorgetragen wird und genügend seltsame Worte enthält, ist der sprachliche Wasserfall ein probates Mittel, sich "mittelalterlich" zu geben, ohne allzugroße Widerreden oder Herausforderungen befürchten zu müssen.
Zwar ist dieses Stilmittel wirklich erst für Fortgeschrittene zu empfehlen, die nötigenfalls noch etwas "nachschütten" können, ohne sich zu wiederholen. (Anfänger geraten einfach zu schnell und leicht ins Stocken.) Zur Erprobung einer bereits gefundenen eigenen Ausdrucksform jedoch sei es mindestens zum einmaligen Gebrauch dringend angeraten. Es macht einfach einen Heidenspaß, einen gewaltiges Füllhorn an Worten und Sätzen zu ergießen und die begossene Sprachlosigkeit des Gegenüber zu genießen: "Äh... Ja." Außerdem ist's gut für's Selbstbewußtsein.
Bevor wir nun gleich zur praktischen Anwendung übergehen, kürzen wir eben noch die wenigen Stichpunkte unseres kleinen Spickzettels auf das Wesentliche:
Ihr & Euch
Verben mit "e"
Englisch raus!
Altbackenes
Latein rein!
des Genetivs
Konjunktiv
Aus Neu mach' Alt
schraube Sätze
Satz-Umstellung
Wortschwall
 
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Hajo Dreyfuß
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