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 Markt-Sprache 

 

Du oder Ihr?
Wir erinnern uns: Grundsätzlich siezen wir nicht, wir wir ihrzen und euchzen. Mindestens das geschätzte Publikum, und natürlich auch einander.
Spätestens bei der Anrede "edler Narr" jedoch fällt aufmerksamen Ohren auf, daß hier wohl etwas nicht ganz stimmt. Im Mittelalter gehörte das Standesdenken nämlich völlig selbstverständlich zu den Umgangsformen. Es ist daher auch aus sprachlicher Sicht wichtig, um die eigene Position innerhalb der Gewerke, Zünfte und Stände genau zu wissen.
Hierbei können wir unterhalb von Gott, Papst, Kaiser, Königen, Herzögen und (Mark-)Grafen von folgender Hierarchie ausgehen:
Publikum (nahezu immer adelig)
 Adelspersonen, Ritter, Klerus
 Marktvogt, Zunftmeister, Meister/in, Stand-Inhaber
 Stadtwache, Büttel, Aushilfen, Mägde, Knechte, Gesellen, Mündel
 Bettler, Dirnen
 Spielleute, Gaukler, Narren, Aussätzige, Henker
 
Unseres eigenen Standes bewußt, setzen wir die Anrede gezielt ein:
aufwärts gilt das ehrerbietige Ihr. Als Höflichkeitsform der 'Oberschicht' mag es untereinander wohl auch gute Dienste leisten.
unter Gleichen ist unter Bekannten wie Unbekannten zumeist das traute Du gang und gäbe. Allerdings dürfen wir die Meister unserer Markt-Zünfte natürlich auch ihrzen.
abwärts darf und sollte ein eher geringschätziges Du gelten. Ein ehrende Anrede mit 'Ihr' wäre hier gänzlich fehl am Platze - darf aber bei Entgegnungen ganz selbstverständlich erwartet werden.
vom Adel herab geht es deutlich über viele Standesebenen herab, ist auch die hochnäsig preußische Anrede in der dritten Person möglich, die nur von der gemeinten Person handelt, ohne sich daran die Lippen zu beschmutzen:
Holla, Wirt! Bringe er Wein vom Besten!
Was hat sie vorzubringen?
 
 
Derlei Feinheiten werden zB beispielsweise dann interessant, wenn Meisterin (Standinhaberin) und Knecht (Aushilfe) dem Markvogt und seinem Büttel begegnen: Vogt und Meisterin ihrzen einander höflich, während sie die beiderseitigen Untergebenen duzen. Diese wiederum duzen auch einander, ihrzen jedoch Meisterin und Vogt. Das klingt etwas umständlich, ist aber in der Praxis sehr lebendig. Und es schafft ganz unauffällig Athmosphäre.
 
Anmerkung
Dem uns besuchenden Volke begegnen wir stets mit besonderer Hochachtung. Das gilt natürlich gerade dann ganz besonders, wenn uns jemand ganz familiär duzt. Da dies niemals unangemessen sein kann, gehen wir solch einem Falle sprachlicher Kompetenz selbstverständlich auf das Anerbieten ein:
So ist es, mein Freund, das siehst du ganz richtig.

 

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Hajo Dreyfuß
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