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 Markt-Sprache 

 

Mach, daß ich es kann!
zur Problematik "mittelalterlicher" Rede
 
Wer mittelalterliche Bankette, Märkte und Events erlebt hat, kennt sie: jene Sprechweise, die so angenehm befremdlich klingt und doch seltsam vertraut - die "mittelalterliche Marktsprache".
Es bereitet uns nur wenig Mühe, ihr zu folgen, da sie anmutig ist und schön. Durchmengt ist sie mit seltenen Worten, welche wir noch von alten Mären kennen, und sie atmet einen Geist, den als Kinder wir verstanden. Zwar ist sie zuweilen etwas wunderlich in der Wahl ihrer Sicht, doch bleibt sie zumeist im Bereich des von Alters her Bekannten, sodaß es stets nur geringe Mühe bereitet, in ihr uns wohlig einzufinden.
Wer nun anhebt, selbst ein Teil jener Welt werden zu wollen, die doch schon lang versunken scheint, steht zuweilen alsbald schon vor einem unlösbaren Rätsel: Wie bringe ich dieser meiner eigenen Zunge solcherlei vergangene Klänge bei?
Manche heben rundherum zu lauschen an, unternehmen alsbald gelegentliche Versuche, wiederkehrende Augenblicke diesmal besser zu meistern, und ganz allmählich ergibt sich ein Gefühl, darin die Worte wie von selbst zu fließen scheinen.
Andere bemühen sich mit aller Kraft, und dennoch will und will es schier nicht glücken. Auch verschiedentliche Anfragen bei zungenfertigen Menschen ringsumher ergeben alsbald schon dieses schröckliche Ergebnis: Hier hülfet wahrlich nichts.
 
Laßt es mich bitte in einfachen Worten sagen.   Darf ich?   Habt Dank.
 
Sprache bedarf der ihr eigenen Begabung.
Die Befähigung zur "mittelalterlichen" Sprache entsteht aus dem Zusammenwirken mehrerer verschiedener Gaben, so wie auch die Fähigkeit zu jedem anderen guten Handwerk ein Geschenk ist:
-  So, wie es eines wirklich begabten Blickes bedarf, um rechtzeitig zu wissen, ob und wann dieser Acker besser Rüben oder Getreide tragen kann, und was ich keineswegs in direkte Nachbarschaft pflanzen sollte;
-  so, wie es bestimmter Talente bedarf, um ein Holz zu überreden, daß es nicht allein am gewünschten Orte paßt, sondern auch als Schublade einfach niemals klemmen wird;
-  so, wie es eines talentierten Blickes bedarf, einen Nachen bei Wind und Wetter zwischen Klippen und Untiefen hindurch in sichere Gewässer zu führen und dabei immer noch einen guten Fischfang zu machen;
-  So sehr - und nicht minder - bedarf es der gelungenen Mischung bestimmter eigentümlicher Talente, Begabungen und Eignungen, um im Bereiche des Wortes jenseits des alltäglichen Gebrauchs mehr als nur wohlgemeinte Stümperei zu erzielen.
 
Es ist schlichtweg eine Gabe, frei sprechen zu können, wenn ich vor Menschen stehe, die mir auf den Mund schauen. Und zur "mittelalterlichen" Sprechweise braucht's von dieser Gabe gleich zwei Portionen.
Damit nicht genug, ist für diese Sprechweise ein großer und wachstumsbereiter Wortschatz als Nährboden nahezu unabdingbar. Wer nicht lernt, die Gabe dieses Schatzes sinnvoll zu verwalten, wird sich stets aufs Neue auf die Suche nach dem rechten Worte machen müssen. Derlei hemmt.
Wenn wir einen Menschen sehen, bei dem zu den obgenannten Begabungen noch als Drittes die Gnade eines untrüglichen Gespüres für die allen Sprachen innewohnenden Melodien hinzukommt, dann haben wir ein echtes Naturtalent vor uns, das von sich aus spielend lernt, "mit den Ohren zu stehlen" und sich das Notwendige selbst anzueignen.
 
Andererseits gibt es ja der Handwerker viele, die durchaus gelernt haben, mangelnden Talenten und geringerer Begabung durch emsigen Fleiß und beständige Übung einen durchaus soliden Ausgleich verschaffen. Bei "Mundwerkern" gilt dieselbe Regel: Was nicht angeboren ist, läßt sich in gewissem Rahmen erlernen und erüben. Und es ist hier wie da möglich, durch Fleiß manchen Lorbeer zu erringen.
Ich kann durchaus lernen, weniger schüchtern zu sein. Ich kann ferner lernen, stets zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte - und es dann trotz einer Schar furchteinflößender Augen zudem noch auszusprechen. Ich kann desweiteren noch lernen, daß es gut ist, eine kleine Liste von Punkten zu wissen, die ich nacheinander ansprechen werde, damit mein unsicheres Gestammel einen erkennbaren Sinn ergibt. Ich kann mir ein kleines Repertoire von Formulierungen zulegen, die mir beim Sprechen die Zeit zum Nachdenken verschaffen. Ich kann sogar lernen und geflissentlich üben, daß gewisse Gesten zu gewissen Inhalten zunächst ziemlich gut passen.
Bei fehlender Begabung (oder fortgeschrittener Schüchternheit) wird das Ergebnis allerdings für lange Zeit nicht viel mehr sein als laute, rhythmische Gymnastik. Und es wird in den "Lehrjahren" trotz aller Mühen, trotz ausgefeilter Wortwahl, trotz ziemlich begeisternden Tonfalles und trotz eigentlich mitreißender Gesten genaugenommen zunächst sehr, sehr langweilig sein. Und ich, der ich dies darbringe, werde das derweil sehr genau spüren - und leiden. Besonders dann, wenn ich einem (meist minder emsigen) Naturtalent begegne, das nur geringer Mühen bedarf, mich trotz all meiner Anstrengungen "im Vorübergehen" ganz versehentlich bodenlos zu beschämen.
Wenn ich nicht bereit bin, solche Durststrecken und Rückschläge als Ansporn hinzunehmen, werde ich an dieser Stelle sehr traurig und mutlos sein.
 
Bitte versteht mich nicht miß: Es ist durchaus gut und sinnvoll, die eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Talente auszuloten und zu erproben. Oft genug ergeben sich neue, ungeahnte Möglichkeiten, die ein völlig anderes als das bislang befürchtete Leben eröffnen. Dennoch gebühren Ruhm und Erfolg nur jenen, die ihre Grenzen erkennen - und einhalten.
In unseren Tagen schilt man emsig die Kurpfuscher, deren medizinisches Wissen oft noch hinter dem steht, was unsere Lieblings-Epoche zu bieten vermag. Aber noch niemand ging je erfolgreich mit Wortpfuschern ins Gericht, die Sprachen, Zeiten und Gewohnheiten zu einem Brei vermengen, der einzig zur mentalen Abortion gereicht.
 
Deshalb wage ich jetzt den Versuch. All jenen, die schon seit geraumer Zeit auf "mittelalterlichen" Veranstaltungen mitwirken und immer noch nicht wissen, was sie wem wann und wie sagen sollten; allen, die dann an mich oder Andere herantreten mit der verzweifelten Bitte: "Mach Du, daß auch ich so sprechen kann!"; all diesen sage ich:
Laßt es doch einfach.
Redet, wie Euch das Maul gewachsen ist - oder haltet es. Aber bitte: versucht Euch nicht in fremden Gefilden. Bleibt bei Euren Leisten. Es tut Euch und Eurem Ruf wahrlich besser.
 
Dreyfuß der Narr      

 

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Hajo Dreyfuß
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